Potenzielle Kandidaten kochen fürs Team

 

Tages-Anzeiger: Wenn wir eine Stelle besetzen, kocht der Kandidat fürs ganze Team

Was passiert, wenn ein unternehmensberater einen businessplan in eigener sache erstellt und den quereinstieg in die gastronomie wagt? Im fall von emanuel steiner und seinem start-up felfel hat sich die realität exakt an den plan gehalten. Der 34-jährige beschäftigt vier jahre nach der firmengründung schon über 40 mitarbeiter und verpflegt 20’000 hungrige kunden.

Herr Steiner, Sie waren Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group und machten sich dann als Gastro-Unternehmer selbstständig. Was gab den Ausschlag für dieses Wagnis?

Emanuel Steiner: Ich spürte schon immer den Wunsch, etwas Eigenes aufzubauen. Das BWL-Studium und die Berufserfahrung im Investmentbanking und der Beratung waren eine gute Vorbereitung dafür. Die Idee für mein eigenes Unternehmen entstand im Berater-Alltag: Ich fand es schade, dass wir am Mittag so selten an einem Tisch sassen, sondern verzettelt irgendwo ziemlich teuer und ungesund etwas assen. Vielleicht liegt das an meinen persischen Wurzeln, aber Essen hat für mich viel mit Genuss und Gemeinschaft zu tun. Deswegen lancierte ich ein gesundes Essensangebot für kleine und mittelgrosse Unternehmen, die keine eigene Kantine im Haus haben. So können Unternehmen einen Kühlschrank voller hochwertiger, frischer Produkte anbieten, auf die die Mitarbeiter jederzeit Zugriff haben. Bezahlt wird mit einem Badge, der Betrieb zahlt eine Servicepauschale.

Sie brachten weder unternehmerische noch gastronomische Erfahrung mit. Haben Sie viel Lehrgeld bezahlt beim Aufbau der eigenen Firma?

Es mag nicht sehr sexy klingen, aber ich bin die Sache sehr strukturiert angegangen. Ich sah bald, dass es einen grossen Bedarf gibt an frischem, gesundem Essen in Unternehmen. So erarbeitete ich einen Businessplan und kann heute, vier Jahre nach der Gründung, sagen: Es ist praktisch auf den Monat genau alles nach Plan verlaufen mit dem Aufbau des Unternehmens. Das beinhaltet auch, dass ich buchstäblich bis auf den letzten Franken meine Ersparnisse aufgebraucht habe, um mit FELFEL auf den Markt zu kommen. Inzwischen haben wir vier Finanzierungsrunden absolviert und private Investoren an Bord, die ebenfalls langfristiges Wachstum anpeilen. Und meine Frau, die sich zeitgleich mit mir ebenfalls im Food-Bereich selbstständig gemacht hat, verkaufte ihre Firma, sodass wir uns heute die Geschäftsführung teilen.

Sie sind in den letzten drei Jahren von einem Ein-Mann-Betrieb auf ein 42-köpfiges Team angewachsen und haben weitere 18 Stellen offen. Was machen Sie so viel besser als die Konkurrenz?

Wir haben eigentlich keine Konkurrenz, weil wir einen ganz neuen Ansatz verfolgen. Es gibt so viele vielversprechende Geschäftsideen, die noch niemand realisiert hat. Bei uns war sicher entscheidend, dass meine Frau und ich schon immer eine Passion fürs Kochen und Entdecken von gesunden und schmackhaften Nahrungsmitteln hatten. Unser Background im Finanzbereich half uns, diese Passion in ein funktionierendes Geschäftsmodell zu übersetzen. Und wir sind eine sehr moderne, digitale Firma. Wir sehen hier in Echtzeit, bei welchen Kunden welche Menüs oder Snacks in welcher Anzahl aus den Kühlschränken in den Unternehmen bezogen werden und wann es wo Nachschub braucht. So sehen wir auch, welche Speisen in welchen Regionen oder Branchen besonders beliebt sind. Und die Mitarbeiter unserer Firmenkunden erhalten bei Fragen oder Anregungen umgehend eine Antwort.

Die Produkte stellen Sie nicht selber her, sondern beziehen Sie bei Partnerköchen. Wie sehr sind Sie da involviert?

Da wir bei den meisten Zulieferern der grösste Kunde sind, können wir viel Einfluss auf die einzelnen Menüs nehmen. Unsere Food Scouts entwickeln Rezepte und suchen die besten Schweizer Familienbetriebe, welche diese Gerichte dann für uns kochen. Sie sehen in unserem Loft-Büro hier in Zürich-Binz, wie wichtig das Essen und Kochen in unserem Arbeitsalltag ist. Wir essen auch als Team zusammen an diesem langen Holztisch, und wenn wir eine neue Stelle besetzen, dann kocht der Kandidat ein Menü fürs ganze Team – auch wenn er danach als Finanzchef oder IT-Spezialist arbeitet. Beim gemeinsamen Kochen und Essen erfährt man viel mehr über einen Menschen als bei einem Gespräch im Sitzungszimmer.

Was haben Sie sonst Wichtiges gelernt beim Aufbau der Firma?

Es ist wichtig, dass man ein gutes Timing hat beim Übergang vom Modell «Einer macht alles» zum Teamwork. Es war gut, dass ich im ersten Jahr allein war: So ging alles schnell, ich konnte meine Idee realisieren ohne endlose Diskussionen oder Konflikte. Ab dem zweiten Jahr hätte ich viele teure Fehler gemacht ohne mein Team. Da es unser Geschäftsmodell noch nicht gab, konnte ich keine Spezialisten bei der Konkurrenz abwerben, wir mussten alles neu aufbauen. So stellte ich ein sehr interdisziplinäres Team mit vielen Quereinsteigern zusammen: Mathematiker, Logistiker, Food- und Finanzprofis, aber auch ein Ziegenhirt, der heute bei uns den Nachhaltigkeitsbereich aufbaut und sich zum Beispiel mit rezyklierbaren Verpackungen befasst. Gutes, passendes Personal einzustellen, kostet viel Zeit und Geld. Wir geben mindestens so viel fürs Recruiting aus, wie für Marketing. Eine Erkenntnis ist, dass ich im Rückblick noch früher einen Finanzchef gesucht hätte. Die vorausschauende Steuerung der Finanzen ist absolut zentral bei einem schnell wachsenden Start-up.

Können Sie sich inzwischen einen Lohn auf dem Niveau der Unternehmensberatung auszahlen?

Nein, eindeutig nicht, wir kommen ja erst gerade in die schwarzen Zahlen. Meine Frau und ich zahlen uns typische Start-up-Löhne aus. Das reicht zum Leben und gut essen, aber nicht für mehr. Solange ich sehe, dass sich das Unternehmen stark entwickelt, ist es mir nicht wichtig, viel zu verdienen. Der tägliche Gestaltungsspielraum und die Führung junger, motivierter Mitarbeiter haben einen viel höheren Einfluss auf die Zufriedenheit als die Höhe des Lohns.

Sie beliefern nach vier Jahren schon mehr als 200 Unternehmen mit total über 20’000 Angestellten. Wie wollen Sie weiter wachsen?

Die Kürzestantwort ist: bottom-up. Wir konzentrieren uns nicht darauf, Firmen- oder HR-Chefs mit Präsentationen zu überzeugen, sondern wir setzen auf Mund-zu-Mund-Propaganda der Angestellten und Degustationen. Essen ist ein dankbares Thema: Wenn wir mit einer Degustation oder später einer dreimonatigen Testphase mit potenziellen Kunden im Kontakt sind, entwickelt sich meist eine Zusammenarbeit daraus. Das Bedürfnis, weniger mittelmässiges Fast Food zu konsumieren, ist weit verbreitet. Unser Ansatz, der den Mitarbeitern permanenten Zugang zu hochwertigen Speisen zu günstigen Preisen verschafft, ist auch aus Arbeitgebersicht attraktiv, denn die Ernährung hat eindeutig einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Wir sind aber nicht dogmatisch: In Betrieben mit körperlich anstrengender Arbeit ist die Nachfrage nach Kohlehydraten, Fett und Fleisch logischerweise höher als dort, wo primär Denkarbeit verrichtet wird. Und die Geschmäcker sind regional verschieden: So werden in der Romandie zum Beispiel viel mehr Mocca- und Nuss-Joghurts gegessen, während Deutschschweizer auf Früchtearomen setzen.


Publiziert von Mathias Morgenthaler, 03.2018 im Tages-Anzeiger Blogs.

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